Das Klacken des Feuerzeugs schnellt durch den Zigarettendunst, eine Halogenlampe strahlt zwischen die Bühnenvorhänge in die kleinen Rauchwirbel. Steffi zieht einmal, zweimal, dann lässt Ben das Feuerzeug zurück in seine Hosentasche gleiten. Stimmen dringen aus dem Backstage-Raum, ein Schluck Energy, von Aufregung keine Spur. Das Geschrammel vom Soundcheck dringt durch die schwarzen Vorhänge, nur wenige Stunden trennen Äl Jawala von ihrem Auftritt im Lagerhaus. Diese Bühne kennen sie noch von früher, so wie die Bühne überhaupt: Rund 1500 Bühnenkonzerte hat das Freiburger Quintett schon hinter sich. Die ersten Schritte als Band machten Äl Jawala jedoch abseits der großen Bühne. „Wir haben in unseren frühen Jahren super viel Straßenmusik gemacht“, erzählt Steffi, als sie sich die Zigarette erneut anzündet. „Das war damals alles noch sehr unkompliziert – schließlich brauchte man dafür keine elektrischen Geräte.“ Als man sich 2000 gegründet habe, sei man vor allem durch spontane Jamsessions in Freiburg als Band groß geworden. „In der Zeit herrschte da noch eine mehr hippie-eske Szene: Lagerfeuer, Jamsessions an Baggerseen und Flüssen, mit Trommeln – oder was auch immer an Instrumenten da war. In dieser Zeit haben wir uns als Band gefunden.“ Die Tür vom Backstage-Raum knallt auf, Daniel eilt mit zwei Drumsticks an uns vorbei auf die Bühne. „Erstmal ein Schluck Wein!“ Steffi drückt ihre Zigarette aus und geht durch die geöffnete Tür in den Backstage-Raum.
Sticker von tausend Bands grinsen von den charmanten Betonwänden des musikalischen Refugiums, an die Dosen von leerem Red Bull schmiegen sich Käsespieße und eine dicke Ingwerknolle. „Wir haben lange überlegt, wie wir uns eigentlich labeln sollen“, sagt Steffi und schwenkt ihren Rotwein langsam im Glas. Die Schublade Balkan-Big-Beat könne man schon aussprechen, meint Steffi. Arabischer Einschlag, dazu Soul, Klezmer, Jazz, Hip-Hop, Reggae, Funk, Drum and Bass, abgerundet mit einer Prise Harmonisch-Moll und rumänischer Folklore – all das seien verschiedenartige Einflüsse, die den heutigen Stil entscheidend prägen – und unweigerlich in die Schublade „Balkan“ führen.
„Früher haben wir rein instrumental gespielt, als gespiegeltes Duett mit Percussion und Saxophon“, erzählt Steffi. „Da waren wir noch jazziger und abstrakter in unserem Stil.“ Die letzten fünf Jahre habe die Band dann einen stärker musikalischen Wandel erlebt: Geradliniger, poppiger – und vor allem mehr Text. „Erst so kannst du wirklich Ansichten vermitteln, Fragen stellen – und eine Message vermitteln.“ Das neue Album „Lovers“ wird wohl genau das vereinen: Jazzige Balkan-Beats, gepaart mit Tanzdynamik und ernster Thematik: Wieviel Konsum verträgt unser Planet? Wie viele Grenzen, Mauern und Ungleichheit? Äl Jawala ist kein Polit-Punk, und dennoch wollen die Freiburger mit dem neuen Album ein klares Statement setzen. „Auf dem neuen Album „Lovers“ ist nicht jeder Song todernst“, erläutert Steffi, „aber es geht viel um die Bereiche Flucht, Menschen und Freiheit.“
Die Tür vom Backstage-Raum knallt abermals auf, der Rotwein schwingt unruhig im Glas hin und her, die vier weiteren Musiker der Band betreten den Backstage-Raum. Russischer Vodka, ein mahnender Blick – die Ingwerknolle bleibt unberührt. Es sind nur noch wenige Minuten bis zum Auftritt, die ersten Besucher linsen mit Neugier und Bierflasche durch die schwarzen Vorhänge. Steffi ergreift das Saxophon, schummrig verschwimmen Aufbruch und Rotwein im spiegelnden Metall des Instruments. Ich muss unweigerlich an die Begriffsbedeutung des Bandnamens denken – Äl Jawala, ein „Nomade“, der rastlos durch die Welt zieht, Transporteur ist von Neuem, Fremdem. Ich blicke zu Daniel, ein Schluck Red Bull in den Rachen, die Drumsticks in der Hand, er eilt zu den anderen Musikern, die schon im Kreis vereint sind für den letzten Schlachtruf, bevor sie auf die Bühne stürmen. Es ist mehr als Rastlosigkeit, vielleicht ist es die Lust, Grenzen zu überschreiten, musikalische oder sonstwie gezeichnete. Es ist kurz vor neun; als Äl Jawala mit ihren Instrumenten aus dem Backstage-Raum auf die Bühne stürmen, steigt der Zigarattendunst langsam zu Wirbeln um die Halogenlampe.
Text und Photo von Philipp Nöhr